Im Inneren überraschen die wunderbare Wirkung des Lichts, die Harmonie und die ausgewogene Gestaltung. Die Liebfrauenkathedrale ist jedoch mehr als ein gotisches Juwel. Die Antwerpener Kirchengemeinde hat der Innenausstattung ihres Gebetshauses in jedem Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt und auch das wechselhafte historische Schicksal der Stadt hat dort seine Spuren hinterlassen. Die Kathedrale bezeugt somit nicht nur das organische Wachstum der Gesellschaft und der Glaubensgemeinschaft, sondern auch die historischen Veränderungen vom Späten Mittelalter über den Barock und die Neugotik bis hin zur Gegenwart.
Einen kulturellen Höhepunkt in dieser langen Geschichte bildet Peter Paul Rubens, der Großmeister der barocken Malerei. Die Kathedrale beherbergt vier seiner Meisterwerke, darunter u. a. Die Kreuzaufrichtung und Die Kreuzabnahme. Weniger bekannt, aber ebenso interessant ist auch das Epitaph von Jan Moretus und Martina Plantin: Es zeigt die Wiederauferstehung eines strahlenden Christus aus seinem Grab. In der zentralen Achse des Kirchengebäudes prangt Maria Himmelfahrt. Die vier zwischen 1609 und 1627 entstandenen Gemälde zeigen auf anschauliche Weise die künstlerische Entwicklung des Antwerpener Meisters. Umgeben wird diese Serie von Gemälden wichtiger Vorläufer wie Maarten De Vos und Otto Venius sowie von Nachfolgern wie Cornelius Schut, der das runde Gemälde im imposanten Vierungsturm schuf.
Obwohl sich die Kirchenverwaltung im Laufe der Jahrhunderte immer wieder für innovative zeitgenössische Kunst entschied, geriet diese fortschrittliche Einstellung im 20. Jahrhundert ins Stocken. Die Kluft zwischen der Welt der Kunst und der Welt der Kirche erwies sich als zu groß. Die heutige Kirchenverwaltung hat 2015 den Faden jedoch wieder aufgenommen und die Sammlung der Kathedrale mit einigen bemerkenswerten Neuerwerben ergänzt. Die Skulptur mit dem Titel Der Mann, der das Kreuz trägt, geschaffen von dem Antwerpener Künstler Jan Fabre, lädt die Besucher dazu ein, mit der christlichen Glaubenskultur zu „balancieren“. Bei der Arbeit Hommage an Rubens: Die Kreuzabnahme des Antwerpener Künstlers Sam Dillemans handelt es sich um eine verblüffende Auslegung des Meisterwerks aus dem 17. Jahrhundert, das gleich daneben hängt. Der katalonische Künstler Javier Pérez schuf sein Werk Corona bereits im Jahr 2012, d. h. einige Zeit vor dem Auftauchen des gleichnamigen Virus. Die empfindliche Konstruktion stellt gleichzeitig das Leiden und die Auferstehung Christi dar.
Eine Kunstform, die permanente Kreativität erfordert, ist die Musik. Die Kathedrale beschäftigt zurzeit drei Berufsmusiker, die vor allem während der Messen den Raum mit alter und neuer religiöser Musik erfüllen. Die barocke Metzler-Orgel und die romantische Schyven-Orgel spielen dabei eine wichtige Rolle.
Die Antwerpener Kathedrale ist eine Schatzkammer der Geschichte und Kultur, gleichzeitig aber auch das Zuhause der katholischen Gemeinde des Bistums Antwerpen. Mit großem Respekt vor allen religiösen und ideologischen Hintergründen lädt die Kathedrale dazu ein, tiefer auf essenzielle Fragen des Lebens einzugehen und dabei Jesus Christus, der vor allem eine Quelle der Hoffnung und des Friedens sein möchte, näher kennenzulernen.